Aktuelles , Schätze aus Archiv und Bibliothek | 09. Mär. 2021

Schätze aus 200 Jahren MGH-Geschichte - Folge 18: Eine Frau will Geschichte studieren

„Sehr geehrter Herr Professor. Ermutigt durch den Rat meiner hiesigen Lehrer, der Herren Professoren Stern & Oechsli, erlaube ich mir die ergebene Anfrage an Sie, ob Sie mir gütigst gestatten würden, Ihre Vorlesungen im nächsten Semester zu besuchen und an den von Ihnen geleiteten historischen Übungen teilzunehmen.“ So beginnt ein Brief aus dem Nachlass des bekannten Monumentisten Harry Bresslau, der ab 1888 Mitglied der Zentraldirektion der MGH war und 1890 bis 1912 Geschichte an der Straßburger Universität lehrte.


Dieser Brief veranschaulicht die Situation von Frauen bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, die Geschichte studieren wollten. 1888 hatte der Allgemeine Deutsche Frauenverein eine Petition für die Zulassung von Frauen zum Medizinstudium und zur wissenschaftlichen Lehrerinnenausbildung beim preußischen Abgeordnetenhaus eingereicht; der Frauenverein Reform hatte im gleichen Jahr die Zulassung zu allen Fächern gefordert. Doch es war ein langer Weg, bis sich das Frauenstudium durchsetzte. Als erste Universität im deutschsprachigen Raum hatte die Universität Zürich Frauen zum Studium zugelassen. Die spätere Schriftstellerin Ricarda Huch erwarb 1892 mit einer Dissertation über „Die Neutralität der Eidgenossenschaft während des spanischen Erbfolgekrieges" als erste deutsche Historikerin den Doktorgrad. Als erste Historikerin an einer deutschen Universität promovierte 1897 Anna Gebser in Heidelberg mit dem Thema „Die Bedeutung der Kaiserin Kunigunde für die Regierung Heinrichs“, allerdings nur als Gasthörerin.


Else Gütschow war 32 Jahre alt, als sie den Brief an Bresslau schrieb und hatte bereits im Ausland, in London und Moskau, als Lehrerin gearbeitet, bevor sie die Möglichkeit nutzte, in Zürich die erforderlichen Prüfungen für den Studienzugang zu machen. Sie schrieb an Bresslau: „Ich erlaube mir, Ihnen meinen bisherigen Bildungsgang darzulegen: Nach längerer Lehrerinnentätigkeit bereitete ich mich in Zürich auf das Schweizer Abiturientenexamen vor, das ich im Okt. 1898 bestand. Immatrikuliert an der hiesigen Universität habe ich während zwei Semestern historische, nationalökonomische und kunsthistorische Vorlesungen besucht und an den Übungen im Seminar bei den Herren Professoren Oechsli (Gesch. der Burgundionen), Stern (neue Gesch.), Schweizer (30jähriger Krieg), Herkner (volkswissenschaftliche Übungen) und Rahn (Kunstgeschichte) teilgenommen.“

Wie andere Geschlechtsgenossinnen in diesen Jahren wählte sie den pragmatischen Weg, um eine Ausnahmegenehmigung und damit einen Zugang zur Promotion zu bekommen, und wandte sich direkt an Bresslau als einen Hochschullehrer, bei dem sie auf Unterstützung hoffen konnte: „Für die Fortsetzung meiner Studien wäre es mir besonders wichtig und wünschenswert unter Ihrer Leitung geehrter Herr Professor, weiter zu arbeiten und deshalb nach Straßburg zu gehen. Ganz besonders verpflichtet wäre ich Ihnen für den Rat, ob ich mich an die anderen Herren Professoren, die für mein historisches Studium in Betracht kommen, mit der Bitte um Zulassung zu Seminar und Vorlesungen schriftlich zu wenden habe oder ob eventuell Ihre gütige Erlaubnis hier maßgebend sein würde? Indem ich Sie für die verursachte Bemühung um Entschuldigung bitte, sehe ich mit bestem Dank Ihrer geschätzten Antwort entgegen. Hochachtungsvoll Else Gütschow stud. phil.“


Harry Bresslau ermöglichte Else Gütschow das Studium in Straßburg, allerdings konnte sie nur als Gasthörerin („Hospitantin“) studieren. Nach sechs Semestern wurde sie 1903 als erste Frau an der Kaiser Wilhelms-Universität in Straßburg mit dem Thema „Innozenz III. und England. Eine Darstellung seiner Beziehungen zu Staat und Kirche" promoviert. Im Nachwort ihrer Dissertation bedankte sich die frischgebackene Frau Doktor: „Vor allem danke ich meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Bresslau, aufs herzlichste für die unermüdliche Teilnahme, die er meinen Studien entgegenbracht, ganz besonders für die wertvolle Unterstützung, die er in stets gleichbleibender Bereitwilligkeit der vorliegenden Arbeit zuteil werden ließ; seine Ratschläge waren für ihre Gestaltung von großer Wichtigkeit.“ Während des Studiums in Straßburg befreundete sich Else Gütschow mit der Tochter Harry Bresslaus, Helene, und ihrem späteren Mann Albert Schweitzer (siehe Folge 17). Zu diesem Straßburger Freundeskreis gehörte auch Elly Heuss-Knapp, die Elsa Gütschow später in ihren Straßburger Erinnerungen würdigte.

A. Marquard-Mois


Gütschow, Else: Innozenz III. und England. Eine Darstellung seiner Beziehungen zu Staat und Kirche. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde einer hohen philosophischen Fakultät der Kaiser-Wilhelms-Universität zu Straßburg, München 1904.


Paletschek, Sylvia: Ermentrude und ihre Schwestern. Die ersten habilitierten Historikerinnen in Deutschland, in: Albrecht, Henning u.a. (Hrsg.): Politische Gesellschaftsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Festgabe für Barbara Vogel. Hamburg 2006, S. 175-187.